
DESIGN NOTES
GEDANKEN ZWISCHEN ÄSTHETIK, ALLTAG UND AVANTGARDE
bevor wir hier künftig unsere gedanken über ästhetik, alltag und avantgarde teilen, wollen wir zunächst etwas anderes tun: uns vorstellen. nicht als brand, sondern als menschen mit unseren geschichten, widersprüchen und unserer art zu denken und zu gestalten.
über drei jahrzehnte sind wir bereits im gespräch, zuerst als nachbarn, dann als freunde und schließlich partner. wir hören dieselben platten, lieben kunst, sammeln kataloge und bücher, vergleichen farbmuster und holzproben, streichen über jede fassade. wir gehen eine runde, skizzieren, legen muster nebeneinander und lassen die stärkste idee nach vorn treten.
wir sind zwei stimmen, die lieber gestalten als über sich zu erzählen. deshalb brauchte es eine freundin, die uns die richtigen fragen stellte: andrea camic, selbst kreative und teil des designerduos rukom, das urban-minimalistische, vegane taschen entwirft, wollte wissen, wie wir als so unterschiedliche persönlichkeiten zusammenarbeiten. es entstand ein gespräch über design, rituale und die suche nach dem besonderen.
lesezeit: 7 min.
wie seid ihr designer geworden?
leila: ich glaube, ich war immer schon designerin (lacht). als ich 10 jahre alt war, war ich am liebsten auf der baustelle unseres wochenendhauses. parallel dazu lernte ich, wie man grundrisse zeichnet und entwarf hunderte von häusern auf millimeterpapier. meine ersten „echten“ projekte, kassettencover, plakate, kleine illustrationen und zeichnungen, besserten später mein taschengeld auf.
trotzdem war ich irgendwie auf der suche und schlug zuerst einen ganz anderen weg ein: ich hatte gerade meine ausbildung als pianistin und klavierlehrerin abgeschlossen und stellte fest, dass mir das doch zu wenig sei. Ich widmete mich dann der kulturwissenschaft, literatur, kunstgeschichte und philosophie. ich habe promoviert und geforscht, wollte verstehen, wie sinn entsteht. sprache war mein werkzeug, theorie mein raum.
das visuelle ließ mich aber nie los: ich stellte meine druckgrafiken und collagen aus, entwarf für freunde die ersten küchen, gestaltete ihre wohnungen. und dann gab es diesen einen magischen moment, in dem sich alles, was lange nebeneinander existiert hatte, wie von selbst zusammenfügte. gestaltung wurde meine sprache, eine, die unterschiedlichsten geschichten inkorporiert. in ihr habe ich gefunden, was ich so lange gespürt, aber nie vollständig greifen konnte. erst nach meiner späten designausbildung verstand ich eigentlich, wie wertvoll mein forschender, kulturwissenschaftlicher blick, aber auch das künstlerische und musikalische talent für den gesamten kreativen prozess sind. heute arbeite ich auch als universitätsdozentin und merke, wie das wissenschafliche denken und der stetige austausch auch meine designarbeit prägt.
vladimir: mein weg war geradlinig. mein vater war architekturprofessor, so dass räumliches denken und bauen immer schon ein wichtiger teil meines lebens waren. nach meinem architekturstudium an der tu wien habe ich jahrelang große projekte geplant, gebaut, umgesetzt. funktion und form standen im zentrum, räume mussten tragen, praktisch und logisch sein. und doch war da immer auch der anspruch, dass ein raum berühren muss. als ich leila wieder begegnete, kamen andere ebenen dazu: farbe, licht, sinnlichkeit – das schöne, das nicht erklärt werden muss. sie hat mir gezeigt, dass zwischen den linien und formen eine sprache liegt, die tief empfunden werden kann. heute weiß ich: gute architektur ist der körper eines raumes – interior design aber sind sein herz und seine seele.
wann beginnt für euch ein projekt – mit dem ersten plan oder mit einer idee?
leila: bei mir ist es meistens ein bild im kopf. oder ein impuls, ein gefühl. das kann eine lichtstimmung sein oder ein material, das in mir etwas auslöst. manchmal ist es auch ein ort, den wir gemeinsam auf reisen erlebt haben, ein blick, ein schatten, eine oberfläche. dieses gefühl lege ich dann auf den tisch, buchstäblich.
vladimir: für mich beginnt’s meistens mit einem kurzen innehalten – oft im gespräch mit leila, im alltag. ich frage mich: was fehlt diesem ort? was würde ihn relevant machen? dann kommt der moment, wo wir anfangen zu ringen – aber diese erste reibung brauchen wir. daraus entwickelt sich oft etwas, das keiner von uns allein gedacht hätte.



IM GESPRÄCH MIT STUDIO VILS

ihr arbeitet als duo. was bringt jede:r von euch mit?
vladimir: ich sehe dinge gerne in ihrer physischen realität. materialien, konstruktionen, wie sich etwas unter der hand anfühlt oder altert – das interessiert mich. ich komme aus dem bau, ich will, dass alles immer funktioniert – und dabei etwas erzählt.
leila: ich komme eher über das atmosphärische, über geschichten. oder theorie! (lacht) mein hintergrund liegt in den kulturwissenschaften – für mich geht es darum, welche visionen räume sichtbar machen sollen. ich denke immer darüber nach, wie räume uns prägen und welche emotionen sie auslösen. ich stelle fragen, die raum für anderes denken öffnen. unsere gespräche sind da sehr direkt, aber auch immer respektvoll. zusammen balancieren wir bauchgefühl und wissen.
vladimir: ich glaube, unsere arbeit lebt davon, dass wir permanent übersetzen – leila eher emotional, ich eher räumlich-strukturell. am ende entsteht etwas, das beides zusammenhält.
was sind die größten vor- und nachteile, wenn man als paar zusammen arbeitet?
leila: auch um den preis, dass es sich unglaubwürdig anhört: für mich gibt es keine nachteile, weil wir uns perfekt ergänzen. wir haben schon vor vielen jahren sehr gern zusammen gelernt und gezeichnet. zudem ist meine arbeit für mich nie ‚arbeit‘ (also in der bedeutung, die das wort im mittelhochdeutschen hat ‚qual, not, pein, etwas anstrengendes‘), sondern etwas schönes und inspirierendes! die gemeinsame arbeit gibt mir energie, statt sie mir zu rauben.
vladimir: vorteil – man kennt sich. nachteil – man kennt sich. (beide lachen)
gibt es rituale, die euch durch den designprozess tragen?
leila: bei mir nicht, ich bin kein mensch für rituale. regelmäßigkeit fühlt sich für mich wie einschränkung an. ich brauche das offene, ungeplante, überraschende. ich lese viel, vor allem architekturzeitschriften, aber auch fachbücher aus unterschiedlichen disziplinen, zum einen weil ich immer auf der suche nach neuem bin, und zum anderen weil meine arbeit als universitätsdozentin verlangt, dass ich wissenschaftlich immer auf dem neuesten stand bin. was auch zu meinem bedürfnis nach abwechslungpasst: ich wechsle immer wieder meinen arbeitsplatz, vom schreibtisch aufs sofa oder an den besprechungstisch. manchmal gehe ich auch ins café oder ins co-working-space. die stadt mit ihren gegensätzen, hinterhöfen, den ruhigen orten im trubel ist für uns beide wie ein dritter gesprächspartner.
vladimir: wenn man miteinander reden als ritual betrachtet, dann das. wir reden viel. dann schweigen wir wieder. irgendwann merkt man: jetzt liegt etwas in der luft. in bewegung denke ich besser. viele entscheidungen treffe ich beim gehen – oder auf reisen. neue kulissen, andere menschen, ein blickwechsel auf das eigene. es ist wichtig, sich immer wieder vom alltag zu entfernen, um wirklich klar zu sehen. aber wenn wir von klassischen ritualen sprechen, dann gibt es da tatsächlich etwas: frisch gekochter mokka kaffee am morgen. wenn ich morgens ganz klassisch mokka auf dem herd koche, ist das für mich wie eine kleine meditation, ein sanfter, entschleunigender start in den tag.
was bedeutet vertrauen in eurer arbeit?
leila: unsere kund:innen kommen oft mit wenig zeit, aber mit einem sehr klaren wunsch nach echtheit. sie geben uns die freiheit, nicht nur etwas „schönes“ zu machen, sondern etwas, das wirklich zu ihnen passt, auch wenn sie es selbst nicht in worte fassen können.
vladimir: es bedeutet, dass man uns machen lässt – im besten sinne. dass jemand sagt: „ich weiß nicht genau, was ich will, aber ich vertraue euch, dass ihr es versteht.“ und dann schauen wir genau hin. der moment, in dem ein raum am ende etwas auslöst, das der kunde selbst nicht hätte formulieren können – das ist das ziel. und es ist nie zufall.
wie sieht ein typischer projektablauf bei euch aus?
leila: wir starten immer mit einem ausführlichen gespräch, bei unternehmen auch mit ein- bis zweitägigen workshops. bei uns gibt es keinen fragebogen, kein schema. wir wollen die menschen und ihr leben verstehen.
vladimir: danach entsteht erst die idee. wir arbeiten sehr eng mit dem ort, dem budget und den realen bedingungen – aber auch mit einem klaren anspruch. wir planen, schreiben aus, begleiten die umsetzung und sind bis zum letzten detail dabei. was wir bauen, soll auch in zwei jahrzehnten noch stimmig wirken.

was möchtet ihr mit euren räumen hinterlassen?
leila: vor allem räume, die nicht austauschbar sind, die außergewöhnlich sind und jedem ein "wow" entlocken. wir wollen das gefühl von echtheit. dass da etwas ist, das nicht künstlich wirkt und nicht inszeniert, sich authentisch und unverwechselbar anfühlt. unsere entwürfe sollen berühren, spannend, überraschend sein, begeisterung auslösen und tiefe zeigen. sie erzählen oft mehr über unsere kund:innen, als sie selbst geahnt haben.
vladimir: ein raum soll die komplexität des lebens nicht erhöhen, sondern sie vereinfachen und ordnen – unmerklich, fast beiläufig. er darf nicht drängen, sondern muss entlasten. gute gestaltung strukturiert das denken, beeinflusst das fühlen, lenkt bewegungen, ohne sichtbar zu sein. wenn ein mensch sich in einem raum intuitiv richtig fühlt – dann haben wir unsere arbeit gut gemacht.
zum schluss interessiert mich NOCH – und sicherLICH auch eure leser:innen: welche stimmen aus design, kunst und architektur berühren euch oder waren EUCH ein vorbild?
vladimir: in meinen eigenen entwürfen bin ich ganz ein kind der klassischen moderne: das gute alte bauhaus, wo die funktionalität im vordergrund entsteht und die ästhetischen formen sich automatisch daraus ergeben. ansonsten hat mich amir vuk inspiriert, ein architekt aus meiner heimat, der auf eine ganz besondere weise alle werte der traditionellen bosnischen baukunst in die architektur der modernen zeit übersetzt. für den theoretischen ansatz und zugang zu jedem architektonischen werk gilt mein ewiger dank meinem leider viel zu früh verstorbenen professor kari jormakka von der tu wien. in der kunst ist es bei mir ganz anders: ich liebe basquiat und das ungeordnete, wilde, freie, fern von klaren strukturen und geraden linien.
leila: oh, das ist die schwierigste frage überhaupt! IN MEINER KINDHEIT begeisterte ICH mich fürorganische bauten von Javier Senosiain Aguilar, frank lloyd wright und louis sullivan, spät auch zaha hadid. seitdem gab es sehr viele, deren arbeit ich sehr schätze. aber fangen wir bei der kunst an: ich liebe cy twombly, sean scully und marc rothko (dazu gibt es demnächst ein essay im blog), großformate von amela rasi und kleine collagen von katrin adler. möbel von konstantin grcic und mihail kurnosov begeistern mich, schmuck von saskia diez und stoffe von hella jongerius finde ich großartig. in der architektur gehe ich auf in entwürfen von sep ruf, sigurd larsen, snøhetta, klassischem bauhaus und den architekturbüros aus vorarlberg, die den geist der vorarlberger schule weiterleben. und ich mag außerdem brutalistische bauten unheimlich gern. die oberfläche und struktur von beton, vor allem in kombination mit anderen materialien, hat für mich etwas unwiderstehliches.
ich danke euch, dass ihr so offen aus eurem leben erzählt habt! obwohl wir uns schon viele jahre kennen, habe ich euch gerade ganz neu kennengelernt.
leila: wir danken dir, liebe andrea, für deine bereitschaft, mit uns zu sprechen. ohne deine unterstützung wäre unsere "über uns" seite sehr wahrscheinlich leer geblieben! (beide lachen)
vladimir: du wirst auch gleich den besten kaffee deines lebens kennenlernen, ich gehe nämlich gleich das wasser aufstellen und dann unterhalten wir uns endlich über euren neuen showroom!



